

Mitinhaber Klaas Müller

Traditionelle Fermentation in der Reifekammer

Schonende Weiterverarbeitung von Hand am Matjes-Karussell
APRIL 2025
Mit Haut und Hand: Matjes – Emdens kulinarisches Aushängeschild
Ganz im Nordwesten Niedersachsens, direkt an der Nordseeküste, am Dollart, einem Meeresarm der Emsmündung, liegt Emden. Mit rund 50.000 Einwohnern ist sie die größte Stadt Ostfrieslands. Hier ist Otto Walkes geboren, von hier aus kommen Reisende nach Borkum und hier wird der Hering zu Matjes – Emdens kulinarisches Aushängeschild – verarbeitet. Fast direkt am Binnenhafen, mitten in der Innenstadt „Am Eisenbahndock“, wird der Emder Matjes in der Fischmanufaktur Fokken & Müller produziert, und das schon seit mehr als 130 Jahren im Familienbetrieb.
Klaas Müller – groß, kräftig, kurzes Haar, blond, Ostfriese durch und durch – leitet gemeinsam mit seinem Cousin Sascha Weddermann das Unternehmen in vierter Generation. Sein Uropa Gerhard Müller gründete mit einem Partner Weet Fokken 1895 das Handelsunternehmen Fokken & Müller.
Er gewährt heute einen Blick hinter die Kulissen der Matjes-Manufaktur. Doch zunächst geht’s ins Büro. Dort gibt es erstmal Tee – selbstverständlich formvollendet in einer ostfriesischen Teezeremonie: Kluntje in die Tasse. Frisch gebrühter „Schwarzer Tee“ bringt den Zucker zum Knacken. Zum Schluss Sahne über den Rand der Tasse gegeben, damit die „Wolke“ aus der Mitte des Tees schön nach oben steigt. So viel Zeit muss sein.
Nach dem ersten Schluck erzählt Klaas: „Die haben früher alles gehandelt. Grünkohl, Kartoffel, Hering.“ Er deutet auf die kleine Historiengalerie an der Wand im Konferenzraum. „Hering spielte immer eine Rolle, schon von Anfang an.“ In den 70ern kam dann die eigene Produktion dazu und der Fokus veränderte sich deutlich. Die Fische kamen direkt von der Doggerbank in den Hafen von Emden. Schwarz-weiß-Fotografien zeigen verschwommen Männer vor riesigen Fässern, alte Handelsurkunden, das Werk vor hundert Jahren. „In der Blütezeit hatten hier mehr als hundert Schiffe ihren Heimathafen“, so Klaas und nippt an seinem Tee.
Die Heringsrohware bezieht das Unternehmen aus nachhaltigem Fang von Schiffen, die vor den Küsten Norwegens, Dänemarks und Schottlands fischen. An Land zum Heringslappen geschnitten und tiefgefroren, kommen die Fische bei Fokken & Müller an. In speziellen Kammern dürfen die Heringe schonend über Nacht auftauen und anschließend eine Woche lang in Salzlake reifen. Täglich werden die Fische einmal vorsichtig von Hand umgeschichtet, damit die Zutaten im Reifebad wirklich jeden Fisch erreichen.
Klaas nimmt ein Filet vom Transportband, wo eine Wanne nach dem Reifen gerade gekippt wurde. Die Lake läuft ab. Die glänzenden Heringslappen werden Richtung Karussell transportiert. „Schau, hier ist die Haut noch dran. Die wird nach der Reifung von unseren Mitarbeiterinnen von Hand abgezogen.“ Das wirke sich nicht nur geschmacklich auf die Matjes aus, sondern lässt das Matjesfilet besonders frisch und appetitlich glänzen. Denn die Haut schütze das feine Filet vor zu viel Einfluss der Lake. Klaas erklärt lächelnd: „Das Enthäuten erledigen bei uns tatsächlich nur die Frauen. Die sind da gefühlvoller.“ Er weiß, wovon er spricht. „Hab es selbst ’nen halben Tag lang probiert. Nach vier Fischen habe ich das Feingefühl verloren und mehr Fett mit abgetrennt als gut für Fisch und Geschmack ist.“ Er zuckt mit den Schultern und lächelt. „Männer sind eben Grobmotoriker. Die machen bei uns das, was für unsere Damen zu schwer ist.“
Viele der Mitarbeitenden stammen aus dem asiatischen Raum. „Die Empfehlungen für Mitarbeiter bekommen wir oft von unseren Mitarbeitern, viele kommen aus Vietnam.“ Gefeiert wird gern und ausgiebig gemeinsam. „Wir zelebrieren hier Weihnachten gemeinsam genauso groß wie das asiatische Neujahrsfest. Und beim Sommerfest stehe ich hinterm Grill. Das ist ein Riesen-Spaß für alle.“
Von Anfang Juni bis Anfang August kommt die Rohware an. Dann ist der Hering am fettesten und der Geschmack am besten. Rund 4.000 Tonnen ganze Heringe verarbeitet das Unternehmen im Jahr. Das sind 2.000 Heringslappen. Ca. 50 Tonnen pro Woche. In der Hochsaison zu Ostern, zum Sommerbeginn und zu Weihnachten schaffen es die 70 Mitarbeitenden in der Woche auch die doppelte Menge Heringe zu veredeln. 30 verschiedene Artikel werden in Emden hergestellt. Darunter Matjesprodukte, Feinkostsalate, Marinaden und weitere Spezialitäten wie marinierte Garnelen. Das alles in Handarbeit.
Der Rundgang ist beendet. Jetzt geht es aber noch zu Emdens bester Fischbude direkt am Binnenhafen. „Hier betreibe ich ab und zu Marktforschung“, sagt Klaas und grinst breit. „Nein, die Bude gehört nicht uns, aber die Betreiber beziehen ihren Fisch von uns.“ Er setze sich gern zu den Leuten und beobachte sie beim Fischbrötchenessen. „Hier habe ich den besten Werbespruch für unseren Bismarckhering gehört.“ Er lacht bei der Erinnerung: „Da rief ein Rheinländer, der wohl mit seiner Frau den Urlaub hier verbrachte: ,Probier mal den Bismarckhering, is’ nich so sauer, musste nich’ so von rülpsen‘.“
Ein etwas anderes Kompliment für den Emder Matjes, findet Klaas. Mild im Geschmack, stark in der Geschichte – und bekömmlich genug, dass man davon nicht mal rülpsen muss.